Steuerzinsen: Droht nun die Rückforderung von Erstattungszinsen?

Im August 2021 haben wir die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen vorgestellt: Danach ist der geltende Zinssatz für Erstattungszinsen von 0,5 Prozent monatlich bzw. 6 Prozent jährlich seit dem 1.1.2014 verfassungswidrig! Doch korrigiert werden muss der Zinssatz erst ab dem 1.1.2019. Der Gesetzgeber wurde zum Handeln aufgefordert, darf sich damit allerdings bis zum 31.7.2022 Zeit lassen (BVerfG-Beschluss vom 8.7.2021, 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17).

Wer seit Januar 2019 zu hohe Nachzahlungszinsen entrichtet hat, darf also spätestens am 31.7.2022 mit einer Rückerstattung rechnen. Aber darf der Fiskus nun seinerseits bereits ausgezahlte Erstattungszinsen, die gleichermaßen bei 6 Prozent p.a. lagen, anteilig zurückfordern?

Unsere Antwort: Wir gehen davon aus, dass die Erstattungszinsen, die seit Mai 2019 gezahlt worden sind, anteilig zurückgefordert werden. Seit diesem Zeitpunkt enthalten die Steuerbescheide bezüglich der Zinsen einen Vorläufigkeitsvermerk und der Fiskus hat sich damit bereits sein „Rückforderungsrecht“ gesichert.

Wer sich im steuerlichen Verfahrensrecht auskennt, wird nun sicherlich entgegnen, dass es doch den § 176 der Abgabenordnung gibt. Danach dürfen Steuerbescheide, selbst wenn sie vorläufig ergangen sind, nicht zum Nachteil der Steuerbürger geändert werden, wenn ein Gesetz durch das Bundesverfassungsgerichts für nichtig befunden oder eine bestimmte Norm als verfassungswidrig eingestuft wird. Und genauso verhält es sich doch, oder?

Ja, das stimmt. Allerdings verkennen viele die Feinheiten des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes, das hier den § 176 AO übertrumpft. Dort gibt es nämlich die nur wenig bekannte Vorschrift des § 31 Abs. 2. Und diese besagt, dass eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sogar Gesetzeskraft erlangt, wenn es ein Gesetz als mit dem Grundgesetz unvereinbar oder für nichtig erklärt.

Wie aus gut unterrichteten Kreisen zu hören ist, will sich die Finanzverwaltung tatsächlich auf § 31 Abs. 2 BVerfGG berufen. Ob das haltbar ist, werden wohl wiederum eines Tages die Gerichte entscheiden müssen. Empfänger von Erstattungszinsen werden sich jedenfalls zunächst darauf einstellen müssen, einen Teil wieder an den Fiskus herausrücken zu müssen.

Eine andere Frage ist, ob sich die Politik auf die Seite der Steuerbürger schlägt und die Finanzämter anweist, auf die Rückforderung der Erstattungszinsen – gegebenenfalls im Billigkeitswege – zu verzichten. Doch bislang haben sich politische Entscheidungsträger dazu nicht geäußert.

Die erstmalige Festsetzung von Steuerzinsen für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2019 ist derzeit ausgesetzt (BMF-Schreiben vom 17.9.2021, IV A 3 – S 0338/19/10004 :005). Das heißt: Neu zu erlassende Bescheide, mit denen eine erstmalige Festsetzung von Nachzahlungs- oder Erstattungszinsen einhergehen würde, werden derzeit von vornherein in Bezug auf diese Zinsen vorläufig „auf null“ gesetzt, bis der Gesetzgeber die Ersatzregelung geschaffen hat und das Finanzamt diese sodann auf die Fälle – gegebenenfalls – rückwirkend – anwenden kann (so auch Landesamt für Steuern Niedersachsen, Mitteilung vom 17.9.2021).